Wie künstliche Intelligenz mit mathematischen Methoden lernt, Pandemien und Finanzsysteme zu verstehen
Über Christian Fabian
Christian Fabian ist Doktorand am Self-Organizing Systems Lab der Technischen Universität Darmstadt und Research Assistant bei hessian.AI.
2020 schloss er sein Masterstudium in Wirtschaftswissenschaften und 2021 sein Masterstudium in Mathematik ab. Seit Oktober 2021 ist er bei hessian.AI in Darmstadt und forscht seit März 2022 am Self-Organizing Systems Lab von Prof. Dr. Heinz Koeppl.
Reinforcement Learning für große Netzwerke von Akteuren
In seiner Forschung beschäftigt sich Fabian mit „Reinforcement Learning for Mean Field Games“. Ziel ist es, das kollektive Verhalten sehr großer Gruppen von Individuen mit Methoden des maschinellen Lernens vorherzusagen. Dabei geht es oft um Hunderttausende oder Millionen von Akteuren.
Beispiele für solche Szenarien sind die Ausbreitung einer Pandemie in der Bevölkerung, Finanzmärkte, biologische Schwarmsysteme und soziale Netzwerke. Hier müssen Modelle entwickelt werden, die auch für solch große Teilnehmerzahlen funktionieren.
Standard-Verfahren des Reinforcement Learning stoßen bei solchen Multiagenten-Szenarien an ihre Grenzen. Fabian spezialisiert sich daher auf den Einsatz von sogenannten Mean-Field-Approximationen, die ein vereinfachtes Verständnis der komplexen Interaktionen ermöglichen sollen.
Graphone helfen komplexe Netzwerke zu verstehen
Konkret verwendet Fabian Reinforcement Learning in Verbindung mit so genannten Graphonen. Ein Graphon ist ein Werkzeug, das in der Mathematik verwendet wird, um große, dichte Netzwerke, wie zum Beispiel soziale Netzwerke, zu untersuchen und zu verstehen.
Anstatt einzelne Verbindungen zu betrachten, z.B. wer mit wem befreundet ist, bietet ein Graphon einen vereinfachten Überblick. Dadurch kann Fabian modellieren, wie Individuen von ihren Netzwerknachbarn beeinflusst werden und wie sie Informationen verbreiten, selbst bei hohen Teilnehmerzahlen.
Im Falle einer Pandemie könnte die Methode beispielsweise die persönlichen Kontakte abbilden, über die sich die Infektionen ausbreiten. Das Modell kann dann lernen, welche Schutzmaßnahmen der Einzelne in Abhängigkeit vom Infektionsstatus seiner Nachbarn ergreift, und daraus Vorhersagen für die weitere Entwicklung treffen.
Eine aktuelle Herausforderung, an der Fabian arbeitet, ist es, die Graphon-Modelle realistischer zu machen. Die bisher verwendeten Strukturen kommen realen sozialen Netzwerken noch nicht nahe genug, um präzise Vorhersagen zu ermöglichen.
In seinen Publikationen hat er bereits Schritte in diese Richtung unternommen. Das nächste Ziel sei die Entwicklung von Learning Methoden, die reale Strukturen sozialer Netzwerke abbilden können. Ein weiteres Ziel sei, die aktuellen Modelle mit Inverse Reinforcement Learning zu kombinieren, um etwa in der Cognitive Science das Verhalten von großen Menschengruppen zu erklären.
Anwendungen in Finanzen, öffentlicher Gesundheit und Robotik
hessian.AI biete ein günstiges Umfeld für diese Forschungsrichtung. Regelmäßiger Austausch, Konferenzen und gemeinsam genutzte Ressourcen wie Rechenleistung ermöglichten den Transfer von Ideen zwischen verschiedenen Bereichen der KI.
Sein Bereich profitiere von der Begegnung mit realen Problemen und liefere gleichzeitig skalierbare Algorithmen, auf denen andere aufbauen können – ein kollaborativer Prozess, den hessian.AI gezielt ermöglichen soll.
Mögliche Anwendungsfelder seien neben der Abschätzung der Auswirkungen von Public-Health-Maßnahmen auf die Dynamik von Pandemien auch die Vorhersage von Marktverhalten und systemischen Risiken in der Finanzwelt oder die Steuerung von Drohnenschwärmen.
Solche Modelle könnten Politik und Wirtschaft in Zukunft helfen, fundierte Entscheidungen zu treffen – etwa bei der Eindämmung von Pandemien oder der Regulierung der Finanzmärkte. KI-Systeme, die kollektives Verhalten präzise modellieren, hätten das Potenzial, großen gesellschaftlichen Nutzen zu stiften.